Die Porsche Historie ist ein Puzzle mit mindestens 911 Teilen. Daraus ergibt sich ein facettenreiches Bild mit manchmal vergessenen Storys. Viele sind es wert, noch einmal erzählt zu werden. Weil es echte Schlüsselmomente für Porsche waren – und bis heute sind. Porsche baut Autos, die auf der Straße daheim sind – und auf der Rennstrecke zu Hause. Das ist ein weiterer Grund, weshalb die Marke seit Jahrzehnten fasziniert. Und tatsächlich lautet seit Sekunde 1 ein Kernziel, die im Motorsport gewonnenen Kenntnisse in die Gesamtkonstruktion der Serienfahrzeuge einfließen zu lassen. Umgekehrt bedeutet das: Serienfahrzeuge können ohne gravierende Änderungen der Konstruktion in Rennen eingesetzt werden. Und der 911? Fuhr nach seiner Vorstellung 1963 erst einmal „gemütlich“ auf der Straße rum. Die Presse fand den sportlichen 2+2-Sitzer zwar äußerst interessant, sah darin aber eher ein Reisefahrzeug als einen Rennwagen. Das sollte sich 1967 mit dem 911 R (für Racing) ändern. Am Anfang der Geschichte stand ein unzufriedener Mechaniker, der es den anderen zeigen wollte. Rolf Wütherich, der schon mit James Dean zusammengearbeitet hatte, formulierte folgendes Ziel: „Es soll ein Fahrzeug gebaut werden, das im Leistungsgewicht unserer derzeitigen Konkurrenz überlegen ist.“ Leistungsgewicht heißt: Leergewicht im Verhältnis zur Motorleistung. Bei projektierten 800 kg bei 210 PS sollte das Fahrzeug auf ein Leistungsgewicht von weniger als 4 kg pro PS kommen. Damit wäre es äußerst konkurrenzfähig. Aber zuvor musste der 911 abspecken: mit Fahrzeugkomponenten wie Türen, Hauben oder Kotflügeln aus Kunststoff. Mit Lüftungsschlitzen in den Fondseitenscheiben. Auch sonst flog fast alles raus, was nicht bei 3 auf dem Baum war: Teppiche, Blenden, Ascher, Zigarettenanzünder, Türöffner, Fußstützen, überflüssige Instrumente, selbst die Beifahrersonnenblende musste weichen. Und der Motor? Kam vom Porsche 906 (Carrera 6). Am Ende wurden nur 19 Fahrzeuge des Typs 911 R gebaut. Sie sorgten vor allem in der exotischen 2-Liter-GT-Prototypenklasse für Aufsehen. 1969 folgte dann ein überragender Triumph bei der Tour de France der Automobile, einer damals äußerst populären Rallye. Aber schon 1967 schrieb der 911 R bei einer Ausdauererprobung im Autodromo von Monza Motorsportgeschichte. Dank tadelloser Performance brach der 911 R einen Rekord nach dem anderen und errang 5 absolute Langstreckenweltrekorde sowie 11 Klassenrekorde. Zum Beispiel über 10.000 Meilen in 76:31:49 Stunden oder über 96 Stunden mit einem Stundenmittel von über 209 km/h. Müssen wir eigens erwähnen, dass der 911 R auf eigener Achse nach Italien fuhr? Der Beweis war erbracht: Im 911 steckt ein echter Rennwagen – mit Straßenzulassung. Diesen Eindruck hat der Carrera 2.7 RS 5 Jahre später eindrucksvoll bestätigt. Der kultige Elfer mit dem Entenbürzel war 1972 das schnellste Serienauto der Welt. Aber das ist ein anderer Schlüsselmoment, von dem wir gern später noch erzählen. Und hier können Sie den historischen 911 R in Aktion sehen, der nur von einem einzigen Sportwagen überholt wird, seinem Nachfolger, dem 911 R unserer Tage. EIN RENNWAGEN IN REINKULTUR: DER 911 R ZEIGT, WO DAS ELFER-HERZ SCHLÄGT. PORSCHE SCHLÜSSELMOMENTE. Nur die wenigsten von uns haben das Glück, bei 24-Stunden-Rennen antreten zu dürfen, um in pfeilschnellen Boliden bei Tag und bei Nacht, bei Regen, Hitze und Kälte über die Strecke zu rasen. Und am Ende vielleicht sogar den Sieg einzufahren. Hans-Joachim „Strietzel“ Stuck ist einer von ihnen. Er hat viele schnelle Rennwagen pilotiert. Sein Favorit wird immer der Porsche 962 sein. Der 962 ist zwar nicht mit Fahrzeugen wie dem Porsche 919 Hybrid heutiger Tage vergleichbar, meint Stuck im Rückblick: „Es gab keine Klimaanlagen oder Servolenkungen oder automatische Getriebe und man brauchte eine wirklich gute Fitness, um im Fahrerfeld mithalten zu können.“ Aber der zweimalige Le Mans-Gewinner sagt auch: „Als ich das erste Mal mit dem 962 in Le Mans gefahren bin, hab ich gedacht: ‚Das gibt’s ja nicht, du kannst ja auf der Geraden das Lenkrad loslassen.‘ Das Fahrzeug war so gut abgestimmt, dass man sich beim Fahren etwas entspannen konnte.“ Die Entwickler um Rennleiter Norbert Singer hatten ganze Arbeit geleistet. Der 962 war technisch eine Zäsur und gehörte einer neuen Generation von Rennwagen an, die mit Fahrzeugen wie dem 917 (dem ersten Porsche Le Mans-Sieger von 1970) nicht mehr viel zu tun hatten. Von Rohrrahmen war man auf eine Monocoque-Bauweise übergegangen, mit Vorteilen bei der Sicherheit. Hinzu kam eine ganz neue Aerodynamik mit dem Ground Effect und besonders hohen Kurvengeschwindigkeiten – und mit viel Vortrieb. Stuck ist bis heute stolz darauf, dass er auf der Hunaudières-Geraden eine Spitzengeschwindigkeit von 407 km/h erreicht hat. Weil er sich sicher fühlte: „Bei anderen Autos ist die Tür weggeflogen oder ein Flügel, bei Porsche hat man sich da nie Gedanken machen müssen. Das war fantastisch!“ Fantastisch waren auch die Erfolge, die der 962 dank 6-Zylinder-Boxermotor mit Turboaufladung und knapp 700 PS einfuhr. Allem voran stehen die 2 Siege 1986 und 1987 in Le Mans, die Teil der beeindruckenden Porsche Dominanz bei Langstreckenrennen in den 1980er Jahren waren. Für einen mächtigen Push sorgte ab 1987 das im 962C entwickelte Porsche Doppelkupplungsgetriebe (PDK) – nicht nur im Motorsport, sondern später auch in der Serie. Für Schaltvorgänge ohne Zugkraftunterbrechung, etwa im 911 und damit für ein Fahrgefühl, das es auch uns „normalen“ Menschen ermöglicht, die Faszination Rennsport selbst zu erleben. Zahlen, die die Sportwagenwelt bedeuten, gibt es jede Menge bei Porsche. Viele sind zum Synonym für die Marke geworden, wie etwa die Ziffernfolge 911 oder 356. Und dann gibt es Zahlen, die eine Ära kennzeichnen, weil sie Motorsportgeschichte geschrieben haben. So wie der Porsche 962, ein Sportwagenprototyp, der als Weiterentwicklung des Porsche 956 in den 1980er Jahren einsame Spitze war. 46 FASZINATION
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